Warum HFV statt SHFV?
Hamburger Fußball-Verband | Schleswig-Holsteinischer Fußball-Verband |
Die Mitgliedsvereine des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) teilen sich auf 21 Landesverbände auf, die in ihren Grenzen zumeist mit den 16 deutschen Bundesländern identisch sind (lediglich Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz teilen sich in mehrere Landesverbände auf). Einer dieser Verbände ist der Hamburger Fußball-Verband (HFV), dem auch unsere Eintracht angehört, obwohl der Klub seinen Sitz im schleswig-holsteinischen Norderstedt hat. Auch heutzutage wundern sich daher viele Fans und Interessenten des Hamburger Amateurfußballs darüber, dass Eintracht Norderstedt nicht im Schleswig-Holsteinischen Fußball-Verband (SHFV) aktiv ist, obwohl man ihm geographisch gesehen eigentlich angehören müsste. Tatsächlich spielt eine ganze Armada von Fußballklubs aus der Umgebung Hamburgs im HFV, obwohl sie eigentlich zum Bereich des SHFV oder des niedersächsischen NFV gehören, was von Fußballfans innerhalb der Hamburger Stadtgrenzen oft auch mit Unverständnis aufgenommen wird, wenn beispielsweise „auswärtige“ Vereine das Hamburger Pokalfinale erreichen oder in die Oberliga Hamburg aufsteigen, wo sie den „städtischen“ Klubs die Startplätze wegnehmen würden.
Doch woran liegt das eigentlich? Warum hat die Hamburger Stadtgrenze im Fußball nahezu keinerlei Bedeutung, während in fast allen anderen Bundesländern strikt auf die Landesgrenzen geachtet wird, wenn es um die Verbandszugehörigkeit von Sportvereinen geht?
Ein Kreis will in die Stadt
Hamburg-Altonaer Fußball-Bund |
Diese Verhältnisse haben ihren Ursprung bereits in der Anfangszeit des Hamburger Fußballs. Als die infrastrukturelle Situation in ländlichen Regionen deutschlandweit noch bei Weitem nicht so entwickelt wie heute war, war es für die Vereine aus den Hamburger Nachbarorten naheliegend, sich im Hamburger Spielbetrieb anzumelden, als ständig Auswärtsfahrten quer durch das kaum erschlossene Schleswig-Holstein oder Niedersachsen durchzuführen – dies spiegelte sich auch im Namen des ersten Hamburger Verbandes wieder, dem Hamburg-Altonaer Fußball-Bund (HAFB), denn Altona gehörte damals noch nicht zu Hamburg sondern zu Preußen, also praktisch zum heutigen Schleswig-Holstein. Gemeinsam mit den anderen norddeutschen Fußballvereinigungen fusionierte der HAFB im Jahre 1905 zum Norddeutschen Fußball-Verband (NFV), wobei Hamburg-Altona weiterhin als Bezirk fort bestand. Erst als die Sportverbände mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 gleichgeschaltet wurden und die Gauligen die Regionalverbände ersetzten, hörte der Fußballbezirk Hamburg-Altona auf zu bestehen, zumal durch das Groß-Hamburg-Gesetz 1937 die Stadt Altona nach Hamburg eingemeindet wurde – nach wie vor spielten die Vereine aus den nördlichen Hamburger Vororten jedoch im Hamburger Spielbetrieb. In der Zeit der Weimarer Republik und der Anfangsjahre des Dritten Reichs verbesserte sich die verkehrstechnische Lage in den ländlicheren Gebieten zwar, doch durch den Zweiten Weltkrieg wurde ein großer Teil der Infrastruktur zerstört, so dass die Hamburger Nachbarvereine auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Hamburger Bereich bleiben wollten.
Norddeutscher Fußball-Verband |
Als der Weltkrieg beendet wurde, waren die wenigen Verkehrswege in den Hamburger Vororten hauptsächlich auf die Stadt ausgerichtet und beim Neuaufbau des öffentlichen Personennahverkehrs hatte verständlicherweise eine gute Verbindung zu Hamburg eine höhere Priorität als eine Verbindung ins schleswig-holsteinische Landesinnere. Zudem hatten auch die Vereine ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denn durch Zwangsenteignungen, unfähige Vereinspräsidenten aufgrund des Führerprinzips und den Verlust zahlloser Sportler konnten viele Klubs kaum die Kosten aufwenden, die mit einem Spielbetrieb in Schleswig-Holstein und Niedersachsen verbunden gewesen wären, weswegen für viele Vereine eine Angliederung in die entsprechenden Sportverbände finanziell gar nicht zu stemmen gewesen wäre.
Als im Januar 1946 das Ligasystem in Hamburg wieder eingeführt wurde, tummelten sich daher zahllose Vereine aus den angrenzenden Gebieten der Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg sowie auch vereinzelte Klubs aus Niedersachsen im Hamburger Ligasystem – lediglich die weiter entfernt befindlichen Vereine der genannten Kreise zogen es vor, im schleswig-holsteinischen Spielbetrieb anzutreten. Doch besonders auffallend war, dass in den folgenden Jahren ausnahmslos der gesamte Kreis Pinneberg im Hamburger Fußball seine Heimat fand – und dies lag nicht einzig daran, dass das Kreisgebiet bereits damals relativ gut ans Hamburger Verkehrsnetz angeschlossen war. Es hat vielmehr politische Gründe, dass der Kreis Pinneberg bis heute im Hamburger Fußball-Verband aktiv ist, obwohl das Kreisgebiet gar nicht zu Hamburg gehört, und diese Gründe erklären auch, warum Eintracht Norderstedt heutzutage Mitglied im HFV und nicht im SHFV ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen vom Vereinigten Königreich besetzt, womit fortan die britische Militärregierung für die Belange im Kreis Pinneberg verantwortlich war. Alle existierenden Organisationen wurden aufgelöst und es dauerte bis Spätherbst 1945, bis die Briten die Neugründung von Sportvereinen wieder gestatteten, wobei im November dieses Jahres auch Eintracht Garstedt gegründet wurde. Allerdings durften die Vereine im Kreisgebiet in jedweder Sportart ausschließlich gegen andere Mannschaften des Kreises Pinneberg antreten, weswegen auch kein Fußballverein aus dem Kreis im Jahre 1945 an irgendeinem geregelten Spielbetrieb in Hamburg oder Schleswig-Holstein teilnehmen konnte – während die nur wenige Kilometer entfernt spielenden Sportvereine in Hamburg und den anderen Kreisen Schleswig-Holsteins bereits geregelte Wettkämpfe austragen durften, waren den Pinnebergern aufgrund der Spielverbote der Besatzungsmacht vorerst die Hände gebunden. Auch innerhalb der Kreisgrenzen war allerdings kein Spielbetrieb aufrechtzuerhalten, da die Militärregierung erst Anfang 1946 die Gründung eines Sportverbandes gestattete, der diese Wettbewerbe hätte organisieren können.
Ein Kreis kommt in die Stadt
Pinneberger Verband für Leibesübungen |
Die Gründung des Pinneberger Verbandes für Leibesübungen (PVL) am 25. Mai 1946 war dann der erste Schritt für die Vereine im Landkreis, wieder in einen organisierten Spielbetrieb eingegliedert zu werden, und hier zeigte sich bereits, dass die Klubs im Kreisgebiet eher auf Hamburg ausgerichtet waren als auf Schleswig-Holstein, da sich der Verband selbst in seinem Gründungsprotokoll die schnellstmögliche Eingliederung der Pinneberger Mannschaften in die Hamburger Sportligen zum Ziel setzte – und das nicht nur wegen der besseren Verkehrsanbindung sondern auch, weil die Hamburger Ligen als leistungsstärker galten. Hierfür musste jedoch nicht nur der PVL zustimmen, sondern auch der Ende 1945 gegründete Hamburger Verband für Leibesübungen (HVL), der sich penibel an die Vorgaben der Militärregierung hielt und deswegen viele Monate lang keine Pinneberger Mannschaften in seinem Spielbetrieb gestattete. Die ersten Vereine, die die Freigabe des HVL erhielten, waren der Rellinger TV (der keine Fußballabteilung besaß) und Eintracht Garstedt, welcher somit bereits im Frühjahr 1946 in einer Hamburger Fußballliga antreten konnte und damit der erste Verein aus dem gesamten Kreis Pinneberg war, der nach dem Zweiten Weltkrieg am regulären Spielbetrieb im Fußball teilnehmen konnte. Auch der VfR Uetersen und Holsatia Elmshorn wurden noch in der selben Saison ins Ligasystem aufgenommen.
Es dauerte bis in die folgende Saison, dass auch die meisten anderen Vereine des Kreises Pinneberg an den Sportwettkämpfen des HVL teilnehmen durften, wobei dies im Fußball deutlich beschleunigt wurde, nachdem sich am 1. Februar 1947 der Hamburger Fußball-Verband (HFV) vom HVL abspaltete und damit praktisch eigenständig seine Entscheidungen treffen konnte. Der HFV hatte weit weniger Vorbehalte, Pinneberger Vereine in seine Ligen aufzunehmen, und 1948 gab es bereits so viele Vereine aus dem Kreis Pinneberg im Hamburger Ligasystem, dass eine der damals dreizehn Hamburger Staffeln fast ausschließlich aus Mannschaften aus dem Kreisgebiet stammte.
Hamburger Sportbund | Landessportverband Schleswig-Holstein |
Damit entstanden aber neue Probleme. Nun ergab sich nämlich die Frage, in welchem regionalen Dachverband die Vereine überhaupt Mitglied sein sollten, denn Anfang 1947 hatte sich der Landessportverband Schleswig-Holstein (LSV) als Dachverband des nördlichsten Bundeslandes gegründet, dem naturgemäß auch der Pinneberger Verband beitrat. Viele Mitgliedsvereine des PVL hatten sich aber bereits vorher dem Hamburger Verband für Leibesübungen angeschlossen, der als Dachverband Hamburgs diente und sich 1948 in Hamburger Sportbund (HSB) umbenannte. Diese Pinneberger Vereine spielten damit nicht mehr als Gastvereine in den Hamburger Ligen sondern als reguläre Mitglieder, und da der schleswig-holsteinische Dachverband 1948 seine Beitrittskosten erhöhte, spielten auch weitere Pinneberger Vereine mit diesem Gedanken. Im Dezember 1948 trafen sich Vertreter der drei beteiligten Verbände HSB, LSV und PVL, und vereinbarten, dass Vereine an der Hamburger Stadtgrenze regulär am Hamburger Spielbetrieb teilnehmen dürfen, aber dazu bewegt werden sollten, dem HSB auszutreten, da sie als politisch zu Schleswig-Holstein gehörende Vereine dem Dachverband LSV angehören sollten. Am 1. Juli 1951 wurde diese Regelung verschriftlicht. Folgekosten würden für die Vereine dabei nicht entstehen, da die Mitgliedsbeiträge gerecht aufgeteilt werden würden.
Kreissportverband Pinneberg |
Doch ohne den mittlerweile in Kreissportverband Pinneberg (KSV-Pinneberg) umbenannten Kreisverband zu informieren, verstießen die Dachverbände aus Hamburg und Schleswig-Holstein schließlich selbst gegen diese Regelung und vereinbarten unter Ausschluss des Pinneberger Kreisverbandes, dass Vereine im Hamburger Grenzgebiet selbst entscheiden könnten, welchem Dachverband sie beitreten wollen. In dessen Folge traten zahllose Vereine aus dem Pinneberger Verband aus und schlossen sich dem HSB an, zumal die betreffenden Vereine davon profitierten, sowohl Fördermittel des Hamburger Verbandes als auch ihrer schleswig-holsteinischen Gemeinde zu erhalten, was nicht nur eine ungerechte Bevorteilung war sondern laut Hamburger Sportamt auch verboten gewesen ist. Es dauerte bis Ende der Sechzigerjahre, dass der HSB diese Ungleichbehandlung beendete, was wiederum eine Welle der Austritte aus dem HSB und in den KSV-Pinneberg zur Folge hatte.
Heute sind diese Vereine sowohl Mitglied im KSV-Pinneberg als auch im schleswig-holsteinischen Dachverband LSV und damit nicht im HSB, doch steht es den Vereinen frei, ihre Abteilungen in die jeweiligen Hamburger Fachverbände der entsprechenden Sportart anzumelden, weswegen beispielsweise alle Pinneberger Klubs im Hamburger Fußball-Verband Mitglied sind.
Ein Kreis bleibt in der Stadt
An der heutigen Situation der Hamburger Nachbarvereine hat sich kaum etwas verändert: Nach wie vor spielen sämtliche Fußballvereine des Kreises Pinneberg in Hamburger Ligen und auch die meisten nahe der Stadtgrenze angesiedelten Vereine im Rest von Schleswig-Holstein haben ihre langfristige Heimat im Hamburger Fußball gefunden. Diese Situation findet sich bis heute aus ganz ähnlichen Gründen auch in anderen Sportarten wie Handball und Volleyball. Lediglich viele niedersächsische Vereine, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch im Hamburger Spielbetrieb aktiv waren, sind mittlerweile in den niedersächsischen Verband gewechselt, so dass heutzutage nur noch der Buxtehuder SV und der TSV Buchholz 08 im HFV übrig geblieben sind – ein Grund dafür mag sein, dass Niedersachsen durch die Elbe von Hamburg getrennt wird, und es heutzutage für viele niedersächsische Fußballmannschaften sogar eher unpraktisch wäre, im Hamburger Bereich Fußball zu spielen.
Als die Gemeinde Garstedt 1970 mit drei Nachbargemeinden zur Stadt Norderstedt fusionierte und Eintracht Garstedt damit plötzlich nicht mehr im Kreis Pinneberg sondern im Kreis Segeberg ansässig war, änderte sich am Ligabetrieb im Norderstedter Raum wenig. Es wäre zu umständlich gewesen, die bestehenden Norderstedter Vereine nun in den schleswig-holsteinischen Spielbetrieb einzugliedern, bloß weil sich die Kreisgrenzen verschoben haben, nachdem es sich über zwei Jahrzehnte lang bewährt hatte, die Vereine im Hamburger Spielbetrieb antreten zu lassen. Die betroffenen Vereine Eintracht Garstedt, Glashütter SV, SV Friedrichsgabe und TuRa Harksheide waren allerdings nicht die ersten Klubs aus dem Kreis Segeberg im Hamburger Fußball, da bereits zuvor der TSV Ellerau in den unteren Hamburger Spielklassen antrat. Heutzutage gibt es tatsächlich einige Norderstedter Fußballvereine im SHFV (namentlich der FFC Nordlichter Norderstedt und Rot-Weiß Norderstedt), doch die vier ältesten Klubs der Stadt sind nach wie vor traditionell im HFV aktiv und auch der Norderstedter SV, der bis zur Jahrtausendwende im Spielbetrieb Schleswig-Holsteins spielte, ist heute Teil des Hamburger Ligasystems.
Kreissportverband Segeberg |
Auch wenn die Fußballabteilung von Eintracht Garstedt bekanntlich im Hamburger Fußball-Verband aktiv war, trat der Gesamtverein nie dem Hamburger Sportbund teil sondern war immer nur Mitglied im KSV-Pinneberg. Erst als der Ort 1970 zu Norderstedt kam und damit in den Kreis Segeberg wechselte, kehrte Eintracht Garstedt dem KSV-Pinneberg den Rücken um entsprechend im KSV-Segeberg aufgenommen zu werden. Die Mitgliedschaft erlosch naturgemäß mit Auflösung des Vereins, doch die Nachfolgevereine 1. SC Norderstedt und Eintracht Norderstedt sind ebenfalls dem KSV-Segeberg beigetreten, auch wenn die einzelnen Sportabteilungen in der Regel Mitglieder der Hamburger Fachverbände sind, so wie beispielsweise Eintracht Norderstedt im HFV.